Leben und Arbeiten an der Grenze von Journalismus und Medienforschung
Ohne Selbstironie und vielleicht ja auch Selbstüberschätzung geht das nicht: eine Buchreihe gründen, die zur «Rettung des öffentlichen Diskurses“ beitragen möchte. Die Wahrscheinlichkeit ist ja weiterhin groß, dass Ironie missverstanden wird, sei es intentionslos, sei es absichtsvoll. Gleichwohl steht diese populärwissenschaftliche Reihe, die vom Sommer 2020 an im Herbert von Halem Verlag erscheinen wird, sinnbildlich für die beruflichen Ambitionen von Stephan Russ-Mohl: Brücken bauen, wo andere Gräben aufreissen, Mauern errichten oder Schrebergärten kultivieren, Neben seiner Arbeit als Journalismusforscher, Journalistenausbilder und Publizist hat sich Russ-Mohl als Gründer solcher Institutionen engagiert, die zwischen Journalismus und Wissenschaft sowie zwischen den Journalismuskulturen vermitteln: zum Beispiel das Journalistenkolleg und die European Journalism Fellowships an der FU Berlin, das Netzwerk des European Journalism Observatory, aber auch die Initiative Qualität im Journalismus. Er hat Projekte vorangetrieben, wenn dies journalistisch professionelle Motive, aber möglichst auch sozialwissenschaftlich fundierte Erkenntnisse nahelegten.
Russ-Mohl sieht sich dabei selbst gerne als Sisyphos, allerdings in der Ausprägung von Camus, der glücklichen Variante: Als Medienforscher möchte Stephan Russ-Mohl ein Scherflein dazu beitragen, Journalisten nachdenklicher zu machen, ja gar den Journalismus zu «verbessern». Weil er das bereits seit Jahrzehnten versucht, weiss er inzwischen: Das ist ein nicht eben aussichtsreiches Unterfangen.
Die andere Leitfigur seines Lebens ist Don Quijote de la Mancha. Russ-Mohls Versuche, seine Kolleginnen und Kollegen aus der Wissenschaft davon zu überzeugen, dass sie gegenüber der Öffentlichkeit eine Bringschuld haben und ihre Einsichten und Erkenntnisse nicht nur innerhalb ihrer Scientific Community teilen sollten, erinnern ihn an den Kampf des Ritters gegen Windmühlenflügel. Es hilft in einer digitalisierten Welt, in der sich Meinungen faktenresistent verbreiten, auch nicht gerade, offen für Einsichten und Erkenntnisse ausserhalb des Mainstreams bleiben zu wollen. Man wird dann schnell verschubladisiert – mal als «neoliberal», wahlweise als «unwissenschaftlich» oder als «alter weisser Mann».
Russ-Mohl fühlt sich dann zwar in beiden Welten, dem Journalismus und der Medienforschung weiterhin zu Hause, aber auch ein bisschen heimatlos. Immerhin weiss er um das Privileg, in der Welt unterwegs gewesen zu sein. Früher als andere und nicht nur als Tourist durfte er fremde Kulturen kennenlernen. Das begann als Austauschschüler am Eton College in England, setzte sich fort mit Studienaufenthalten bei Ivan Illich am Centro Intercultural de Documentación in Cuernavaca/Mexico und an der Princeton University. An deren Woodrow Wilson School of Public and International Affairs entstanden in einem arbeitsreichen und betreuungsintensiven Studienjahr die ersten zwei Drittel seiner Dissertation. Für das restliche Drittel hat es anschliessend in Deutschland noch zwei weitere Jahre gebraucht. Solche Erfahrungen und die späteren Forschungs-Sabbaticals in den USA und in Italien haben die Augen für kulturelle Differenzen geöffnet – und dafür, wie begrenzt der Ausblick vom heimischen Kirchturm auf den eigenen und die benachbarten Schrebergärten doch ist.
Verstärkt hat sich diese Erfahrung während seiner Zeit in der Schweiz. Während man in Deutschland gemeinhin annimmt, das Nachbarland sei eine Art Baden-Württemberg südlich des Rheins und des Bodensees, tickt das Land mit seiner republikanischen Tradition, seiner direkten Demokratie, seinem stark ausgeprägten Milizsystem, seinem Föderalismus und seinem Konkordanzsystem doch ganz anders als die deutsche Bundesrepublik. Und das Tessin – an der Grenze zu Italien und auch kulturell stark vom Süden her geprägt – ist nochmals ein eigenes Biotop, das noch nicht einmal die Deutschschweizer so richtig kennen und registrieren, wenn sie nicht in der «Sonnenstube» eine Ferienwohnung besitzen.
16 Jahre in Lugano haben Russ-Mohl zum Schweizer Staatsbürger gemacht, der 2018 mit einigem Erstaunen, ja Befremden nach Deutschland zurückgekehrt ist, Er wundert sich täglich neu, was alles nicht mehr funktioniert, wie duldsam seine Landsleute in Berlin und Brandenburg im Umgang mit ihrer Bürokratie und ihrem Staat sind und wie (vor)schnell sie, darunter auch seine Sozialwissenschaftler-Kolleginnen und Kollegen, fast alles als Markt- und Kapitalismusversagen deuten, was bei näherem Hinsehen eher als Bürokratie-, Politik- und Staatsversagen oder auch als Mangel an «Media accountability» zu deklarieren wäre.